An keiner Höhle war das Tauchteam der Cavebase häufiger und hat so gelitten und geschuftet wie in der Gourneyrou. Dieses Jahr gab es endlich Neuland. Kein einfaches Projekt– nicht nur wegen der exponierten Lage, sondern vor allem wegen des gefährlichen Tauchprofils.
Wer ist die Cavebaseüberhaupt?
Die Cavebase Exploration e.V. ist ein gemeinnütziger Verein zur Erforschung von Höhlen und besteht aus Teammitgliedern unterschiedlichster europäischer Länder. Es ist das am längsten noch heute existierende Explorationsteam in Europa. Das Team hat sich der DIR (Doing it right) Philosophie verschrieben und setzt seit Jahren Maßstäbe in SachenT eamtauchen auf Projektebene. Das dadurch erarbeitete Wissen rund um die Anforderungen an »Mensch undMaterial« lässt das Team auch in Entwicklungen aus der Tauchindustrie einfließen. Gegründet wurde die Cavebase 2006, die Idee hierfür entstand am Lagerfeuer eines Gourneyrou Projekts der EKPP (EuropeanKarst Plain Project). Die ersten Eckpfeiler wurden damals festgelegt:Jeder soll bei einem Projekt auf seinem Niveau die Tauchgänge machen, die er möchte, das Ganze sos icher wie möglich. Der Spaß dar fnicht zu kurz kommen. Wir wollen explorieren. Diese drei Grundsäulen werden bis heute gelebt. Die Cavebase ist eine sehr professionelle, aber auch offene Gruppe. Einharmonisches Miteinander ist das A und O bei langen Projekten abseits der Zivilisation, so sind die Teammitglieder nicht nur Tauchkollegen, sondern auch Freunde.
Was macht die Gourneyrou so besonders?
Die Exurgence de Gourneyrou liegt im schönen Tal der Vis in der Nähe der Ortschaft Ganges im südfranzösischen Hérault. Mitten im VisTal geht es von der kleinen Hauptstraße ab. Entlang einer steilen Felswand, die über mehrere hundert Meter abfällt, über kleine Brücken und in den Hang getriebene Pfade hinweg, an querliegenden Bäumen vorbei erreichtman nach einer Stunde abenteuerlicher Fahrt einen Platz, der perfekt geeignet ist für das Cavebase Basislager. Das bedeutet, den gesamten Projektzeitraum über im Freien zu schlafen, ohne Strom, Toilette oder warme Dusche. Die Höhle wiederum befindet sich noch tiefer am Fuße des Flusses Vis. Das gesamte Material muss mit einer Seilbahn über zwei Stationen hinweg zur Höhle transportiert werden. Die Höhle selbst wartet mit einem extremen JoJoProfil auf. Das ständige Auf und Ab schreckt viele touristische Höhlentaucher ab. Es geht auf verhältnismäßig kurzer Strecke auf 85 Meter hinunter, auf 18 Meter hinauf, auf 92 Meter hinunter, auf 35 Meter hinauf, auf 105 Meter hinunter – und nach bisherigem Wissenstand wieder auf 60 Meter hinauf. Die Tiefen vari ieren ein wenig, je nach Wasserstand. Dafür braucht man einen soliden Druckausgleich. Teamärztin Heinke Teichmann ergänzt: »Hierfür braucht es absolute Fitness«. Nicht zuletzt, um die lange Dekompression zu bewältigen.

Geschichte der Erforschung
Die Gourneyrou wurde das erste Mal von Henry Lombard im Jahr 1950 betaucht, der damals auch die ersten Karten anfertigte. In den folgenden Jahren wurde die Höhle von verschiedenen französischen Gruppen erkundet. In den 1990er Jahren verlegte unter anderem Frank Vasseur dort ein dickes Bergseil zur Navigation. Das erste groß angelegte Projekt fand allerdings erst im Jahr 2003 mit der EKPP unter der Leitung von Reinhard Buchaly und Michael Waldbrenner statt. Die beiden hatten bis ins Jahr 2024 den weitesten Vorstoß gewagt und das EOL (End of Line) gelegt. Ab 2012 nahm die noch junge Cavebase, teilweise noch mit Mitgliedern der ersten Generation, die Forschung hier auf. Tobias Ziegler versuchte damals zusammen mit Carsten Richhardt, das bisherige Ende zu erreichen. Dies gelang Tobias allerdings erst im Jahr darauf zusammen mit Wilke Reints. Die beiden tauchten die Spalte über der EOL weiter nach oben, die jedoch immer enger wurde und wo sich die Sicht zunehmend verschlechterte. Sie waren sich sicher, dass die Fortsetzung irgendwo im tieferen Bereich um die 100 Meter sein musste. »In dieser Höhle muss es weitergehen, die hört nicht einfach auf«, so Wilke Reints.
Neue Generation
Nach acht Jahren Ruhe rund um die Gourneyrou wollte die jüngste und dritte Generation der Cavebase-Taucher das Projekt noch einmal angehen. Im Jahr 2021 reiste das Team an und musste sich vor allem auf die Erfahrungen der alten Hasen wie Marc Große verlassen. Keiner war wohl öfter hier als er. Er beschrieb dem Team genau, worauf es ankam und was zu beachten und einzupacken war. Anfangs dachten alle noch, wir könnten es mit bloßer Körperkraft schaffen, das Material hoch- und runterzutragen, doch bald sah das Team ein, das es wohl eine Seilbahn benötigt. Tom Bub ächzte: »Nach einer Woche im Büro ist das hier echt Kontrastprogramm«. Schwerpunkte der Woche waren die Adaption an die Höhle, die Installation einer durchgängigen Leine durch den Knick auf 85 Meter und die möglichst genaue Vermessung dieses Bereichs. Dazu gab es im Team mehrere Vermessungsworkshops, sodass alle genau wussten, wie unsere Cavebase-Vermessungsprozedur abläuft. So konnte händisch sehr präzise der Abschnitt vom Eingang bis zum »Scheunentor«, einer Engstelle nach dem ersten Knick, vermessen werden. Es konnten einige Kilo an Leinenresten aus der Höhle entfernt werden. Das mitgebrachte teameigene Falthabitat kam jedoch nicht zum Einsatz, da unser Nemo-Unterwasserbohrer abgesoffen war und wir somit keine Unterwasseranker setzen konnten. Beim Bau der Seilbahn konnte viel von den Seiltechniken angewendet werden, die für das Kefalonia-Projekt im Jahr zuvor angeeignet wurden. Steffen Burger stolz: »Die Seilbahn macht uns alles leichter«.
Seilbahn und Walkie-Talkie
Aus dem Gourneyrou-Projekt 2021 konnten wir viele Rückschlüsse ziehen und Erfahrungen sammeln. Der Gamechanger war sicherlich die Seilbahn. MCM und Tom bauten zusammen eine Winde, diese wird unkompliziert an einen Baumstamm gebunden und zieht mit einem kleinen Benzinmotor das schwere Material nach oben. Dabei ist voller Teameinsatz gefragt, drei Leute an der Bergstation und je zwei an Mittel- und Talstation; kommuniziert wird via Walkie-Talkie. Das Jahr 2022 sollte sich mehr auf das Thema Neuland-finden und die Klärung offener Fragen konzentrieren. Wir reisten mit einem noch größeren und deutlich besser vorbereiteten Team an. Diesmal sollte ein IBC-Wassercontainer als Habitat genutzt werden, den Olli Ober und Max Fahr lange im Voraus vorbereitet hatten. Erste Maßnahme war die Installation der Seilbahn und der Transport des Containers zum Höhlenpool. Einmal durch den »engen« Eingang gelangt, konnte das Team den Container vor den ersten Schacht rollen und auf 9 Meter Wassertiefe platzieren. Wilke instruierte Max und Olli nochmals genauestens, wo die beiden zu suchen hatten. Auf 105 Meter sollten sie die besten Chancen haben. Olli und Max kamen leider nur langsam voran, da schon im zweiten Knick nahezu keine Leine mehr lag und sie alles neu auslegen mussten. Das brachte natürlich einiges an Dekompressionszeit mit sich. Auf 105 Meter im dritten Knick angekommen, stellte sich jedoch die Situation so dar, dass es zwar eine SKurve im Gangverlauf gab und einige Risse, die senkrecht nach oben gingen, aber keine wasserführende Fortsetzung. Die beiden beschlossen, es gut sein zu lassen und befestigten die Leine auf 105 Meter mit einem Cookie und begannen den Rückweg. Nach 10 Stunden Tauchzeit kamen die beiden wohlbehalten und zufrieden aus dem Wasser. Frank Vasseur schwärmte: »Was für ein professionelles und eingespieltes Team«.

Das Jahr 2024: Endlich Neuland
Dieses Jahr war es so weit und dasTeam Cavebase sollte die über 18Jahre hinweg hart erarbeitete Ernte einfahren. Das Team war so gut vorbereitet wie noch nie. Diesmal hatten wir neben einem Generator und zwei Kompressoren sogar eine Satelliten Internetverbindung zur Außenwelt.Neben Schweizer Käsefondue gab es nahrhafte und liebevoll zubereitete Gemüsemahlzeiten für das gesamte Team. Auch hier haben wir gelernt und sind uns bewusst, wie viel eine ausgewogene Ernährung über den Projektzeitraum zur Leistungsfähigkeit des Teams beiträgt. Jeder wusste genau, worauf es ankam und welche Handgriffe zu tun waren. So waren auch unsere Gäste schnell eingearbeitet und konnten effizient eingesetzt werden. In Rekordzeit standen Seilbahn und Habitat. Es gab den obligatorischen Vermessungs- und Notfallworkshop und dann ging es auch schon los mit dem Vorstoß. Die Zeichen standen gut für den großen Tag.Der Pushtauchtag startete für Olliund Max mit dem bewährten »EarlyMorning Coldwater Dip« im Fluss Vis. Nach einem kurzen Frühstück und wach vom kalten Wasser, verließen die beiden um kurz vor 6 Uhr das Basislager. Zum Höhlenpool sind es gute 25 Minuten zu Fuß. Begleitet wurden die beiden von MCM undDavid als ihre Supporter. Mit Unterstützung ist man einfach schneller und effizienter angezogen. Sollte der Gangverlauf wie angenommen auf 60Meter hinter dem EOL von Michael Waldbrenner und Reinhard Buchaly weitergehen, sollten die beiden eineTauchzeit von ca. 15 Stunden haben.Deshalb war es essenziell, so früh wie möglich abzutauchen. Die Abtauchzeit war auf 7 Uhr terminiert.Ein weiterer Vorteil des frühen Abtauchens ist, dass in der Morgenfrische unnötiges Schwitzen und somit späteres Frieren vermieden werden. Wilke Reints, der ehemaligePush-Taucher der Cavebase und der letzte, der das EOL der Gourneyrou gesehen hat, gab seinen letzten Segen und begleitete das Abtauchen mit seiner Kamera. Beim Umziehen herrschte konzentrierte Stille, Olli und Max bereiteten sich jeweils mit ihremSupporter getrennt voneinander vor und waren gleichzeitig fertig zum Abtauchen. Durch den vielen Regen in den Wochen vor dem Projekt war derWasserstand deutlich höher als sonst, was das Hineingehen ins Wasser mit der vielen Ausrüstung erheblich erleichterte. Die Bedingungen warenabsolut brauchbar für einen Vorstoß. Die Sicht betrug etwa 10 Meter.
Gänge suchen
Olli und Max tauchten ab. Bereits inden ersten drei Schächten, die die beiden zuvor erkundet hatten, stellte sich ein hohes Maß an Vertrautheit ein.Der Jojo-Verlauf der Höhle verlangte den beiden in Sachen Druckausgleich viel ab. Durch die bereits verleinten und bekannten Bereiche aus demVorjahr konnten die beiden die tiefenStellen schneller durchtauchen und somit Dekozeit sparen. Sie erreichten die S-Kurve auf 105 Meter, die zuvor als letzter Punkt markiert wurde. Ab diesem Punkt hatte die Gourneyrou keine Leine mehr – jetzt begann die eigentliche Erkundung.Die beiden hatten vorher den Planerstellt, zunächst die Decke nachweiterführenden Gängen abzusuchen. Nachdem sie einige Minuten auf 105 Meter verbrachten, um dieLeine zu verbinden, begannen sie, dieLeine nach oben in den Schacht zuziehen. Auf 75 Meter sahen die beiden bereits, dass ein Gang auf der linkenSeite abgeht. Nach kurzem Check deralten EOL auf 65 Meter sahen sie jedoch sofort, dass es sich hier nur um eine Ecke des Schachts handelte.Max zog die Leine um den letzten Tie-Off herum und wieder in dieTiefe, um auf 75 Meter in den neu entdeckten Gang einzudringen. Der Gang wurde immer flacher und nach 300Meter ausgelegter Leine erreichten die beiden eine Wassertiefe von 23Metern. Mit knapp fünf Stunden Deko auf der Uhr beschlossen die beiden, aber nicht weiter nach oben zu dekomprimieren, sondern den 25 mal25 Zentimeter großen Teamcookie zu platzieren und ein anderes Mal wieder zukommen.Zeitig zurückAuf dem Rückweg traf das Push-Team allerdings nicht am vereinbarten Ort auf das bestellte Deep-Support-Team, sondern erst im letzten Schacht kurz vor dem Ausgang. Das lag daran, dass sie deutlich eher als vereinbart zurück waren, hatten sie doch mit einer längeren Zeit in der Tiefe gerechnet. Mats Pape und Zeljka Kiesecker nahmen Olli und Max das nicht mehr benötigte Material ab und überbrachten die tolle Nachricht and das restliche Team, dass der Bann der Gourneyrou endlich gebrochen ist. Olli undMax vertrieben sich die Dekostopps bis zum Habitat mit Lesestoff für Erwachsene. MCM und David waren durch das Deep-Support-Team informiert und bereit, den beiden ins Habitat zu helfen. Durch das vorherigeTraining funktionierte dies reibungslos. Im Habitat konnte das Push Team durch die von Steffen Burger konstruierte Telefonverbindung zur Oberfläche sogar Essen und Tee bestellen und auf einem Handy ein paar Filmezum Zeitvertreib anschauen. PurerLuxus, einfach großartig! Unter Applaus des Teams wurden die beiden an der Oberfläche empfangen, wo sie dann auch den letzten Sauerstoffstopp einlegten. Olli schwärmte:»Was für ein Tauchgang!«Abends wurde dann am Lagerfeuernicht nur gefeiert, sondern auch dieVideoaufnahmen und die wertvollen Messdaten des ENC-Messgeräts auf dem Ghost Scooter von Seacraft ausgewertet. Die restliche Woche hat dasTeam damit verbracht, Vermessungsdaten in Seitengängen zu vervollständigen, die Navigation und dieLeine in der Höhle zu verbessern und weitere Daten zu sammeln und zu dokumentieren.

Wie geht es weiter?
Eigentlich dachten wir ja, es war das letzte Mal Gourneyrou! Aber wir kommen wieder, so schnell wie möglich, das ist beschlossene Sache. DerTraum der Cavebase ist es, in der Gourneyrou aufzutauchen. Dann hätten wir sicher einen der spektakulärsten Sumps auf der Welt entdeckt
In diesem Sinne,
eure Cavebase

